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Nadine Schönwald Logo - Speakerin und Expertin für Inklusion
Januar 2025
3 Min. Lesezeit
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Behinderung & die kleinen Stiche: Mikroaggressionen im Arbeitsalltag erkennen und vermeiden

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: Mikroaggressionen gegenüber Menschen mit Behinderung wirken verletzend und belasten das Arbeitsklima. Wie Teams und Führungskräfte bewusst gegensteuern können.

Nadine Schönwald - Autorin und Expertin für Inklusion

Geschrieben von

Nadine Schönwald

Wenn gut gemeint nicht gut gemacht ist

„Du wirkst ja total normal.“

„Respekt, dass du trotzdem arbeitest.“

„Ich finde es toll, wie du dich nicht hängen lässt.“

Diese Sätze klingen auf den ersten Blick freundlich. Doch für viele Menschen mit Behinderung sind sie kleine Stiche, die sich über die Zeit summieren. Sie sind Beispiele für sogenannte Mikroaggressionen – subtile, oft beiläufige Bemerkungen oder Gesten, die verletzend wirken, auch wenn sie nicht als Angriff gemeint sind.

Das Problem: Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht.

Denn solche Aussagen transportieren unterschwellig Botschaften wie: Du bist anders. Du gehörst nicht ganz dazu. Deine Leistung ist überraschend.

Was sind Mikroaggressionen?

Der Begriff beschreibt alltägliche, oft unbewusste Handlungen oder Äußerungen, die Menschen aufgrund eines Merkmals – wie einer Behinderung – ausgrenzen oder abwerten.

Es geht nicht um offene Beleidigungen, sondern um wiederkehrende Signale, die Betroffene immer wieder daran erinnern, dass sie nicht der vermeintlichen „Norm“ entsprechen.

Typische Beispiele im Arbeitskontext:

  • „Du bist echt eine Inspiration.“
  • „Ich bewundere, dass du trotzdem zur Arbeit kommst.“
  • „Man merkt dir deine Behinderung gar nicht an.“
  • „Wir wollten dir das nicht zumuten.“
  • „Könntest du bitte erklären, was genau du hast? Ich bin nur neugierig.“

Die Wirkung auf Betroffene

Mikroaggressionen sind nicht harmlos. Sie können psychischen Druck erzeugen und langfristig das Arbeitsklima belasten.

Häufige Folgen sind:

  • Erklärungsdruck: Das Gefühl, sich ständig rechtfertigen zu müssen.
  • Anpassungsstress: Der Zwang, nicht aufzufallen oder Erwartungen zu erfüllen, die nichts mit der eigentlichen Arbeit zu tun haben.
  • Reduzierung auf die Behinderung: Fachliche Kompetenz tritt in den Hintergrund.
  • Erschöpfung: Dauerhafte Mikro-Anpassung kostet Energie und kann zu Rückzug führen.

Gerade bei nicht sichtbaren Behinderungen ist die Belastung oft besonders hoch, weil Kolleg:innen mit Neugier, Skepsis oder falschen Annahmen reagieren.

Warum Mikroaggressionen so hartnäckig sind

Viele dieser Aussagen entstehen aus Unwissenheit oder gut gemeinter Anteilnahme. Doch sie spiegeln tief verankerte gesellschaftliche Bilder wider:

  • Leistung wird an körperlichen Normen gemessen.
  • Behinderung wird mit Einschränkung oder Tragik gleichgesetzt.
  • Erfolg von Menschen mit Behinderung gilt als „außergewöhnlich“.

Solange diese Denkmuster nicht hinterfragt werden, bleiben Mikroaggressionen Teil des Alltags – oft unbemerkt von denen, die sie äußern.

Wie es besser geht – 5 konkrete Ansätze

1. Sprache reflektieren

Statt: „Beeindruckend, dass du trotzdem arbeitest.“

Besser: „Schön, dass du Teil des Teams bist.“

2. Klischees vermeiden

Nicht jede Behinderung ist tragisch. Nicht jede Leistung ist „heldenhaft“. Menschen mit Behinderung wollen als Fachkräfte gesehen werden – nicht als Ausnahmeerscheinung.

3. Bedarf statt Zweifel formulieren

Statt: „Bist du sicher, dass du das schaffst?“

Besser: „Was brauchst du, um die Aufgabe gut umsetzen zu können?“

4. Feedback annehmen

Wenn dir jemand sagt, dass eine Aussage verletzend war, nicht rechtfertigen – zuhören, verstehen, lernen.

5. Inklusive Führung leben

Teams, in denen Vielfalt willkommen ist, produzieren weniger Mikroaggressionen. Führungskräfte setzen hier den Ton.

Reflexionsfragen für den Arbeitsalltag

  • Welche Sätze sage ich, ohne sie zu hinterfragen?
  • Wie reagiere ich, wenn mich jemand auf meine Wortwahl anspricht?
  • Gibt es in meinem Team eine Kultur, in der solche Themen offen angesprochen werden können?

Fazit: Inklusion zeigt sich im Kleinen

Mikroaggressionen mögen unscheinbar wirken – ihre Wirkung ist es nicht. Sie beeinflussen, wie willkommen und wertgeschätzt sich Menschen fühlen.

Echte Inklusion entsteht nicht nur durch Strategiepapiere oder Leitbilder, sondern im täglichen Miteinander. Wer hier bewusst ansetzt, verändert mehr als jede Maßnahme auf dem Papier.

💬 Diskussion:

Welche Mikroaggressionen sind dir im Arbeitsalltag schon begegnet – und wie könnte man es besser machen?

Teile deine Erfahrungen in den Kommentaren.

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